„Rüstungsforschung“– oder?

Video - 1986

In den frühen 1980er Jahren waren viele Student:innen, Professor:innen und Beschäftigte der Gesamthochschule an der Friedensbewegung beteiligt. Die Kasseler Hochschule sah sich als eine Universität des Friedens und vertrat mehrheitlich ein Wissenschaftsverständnis, das die gesellschaftlichen Kontexte und Folgen von Forschung und Lehre berücksichtigt, thematisiert und mitgestaltet. Forschung im Zusammenhang mit Rüstung und Krieg wurde in der Resolution der Hochschulversammlung 1983 strikt abgelehnt. Als 1985 der Maschinenbau-Professor Dr. Otto Bruhns ein Forschungsprojekt, das im Auftrag des Bundesministeriums für Verteidigung vergeben wurde, annahm, entbrannte eine hitzige Diskussion. Einerseits darüber, ob es sich bei dem Forschungsvorhaben um Rüstungsforschung handele, andererseits darüber, ob das Forschungsvorhaben gestoppt werden könne. Die mehrheitlich linken Gruppen im Konvent forderten Präsident Neumann auf, die Einstellung von Mitarbeiter:innen in das Projekt zu verweigern und Bruhns zur Nicht-Durchführung des Forschungsvorhabens zu zwingen. In dem Konflikt zwischen der gesetzlich garantierten Freiheit von Forschung und Lehre einerseits und dem moralischen Anspruch auf eine gesellschaftlich verantwortliche Wissenschaft andererseits sah Neumann rechtlich keine Möglichkeit, das Forschungsprojekt zu unterbinden. Er äußerte aber deutlich, dass Forschung im Zusammenhang mit Rüstungsfragen an der Gesamthochschule unerwünscht sei.

Bruhns blieb bei der Haltung, dass das Projekt in keinem direkten Zusammenhang zu Rüstungsfragen stehe, und wurde weiter zur Zielscheibe der Kritik, obwohl das Projekt – wie selbst Neumann einräumte – reine Grundlagenforschung betrieb, deren Ergebnisse veröffentlicht wurden. 1987 nahm Bruhns einen Ruf an die Ruhr-Universität Bochum an. Das Projekt wurde dort weitergeführt und ist in der Folge in ein Graduiertenkolleg und mehrere Sonderforschungsbereiche der DFG eingeflossen. Es hat damit wesentlich zur Entwicklung der Schädigungs- und Versagensforschung beigetragen. 

Konflikte um mögliche Rüstungsforschung wiederholten sich 2013.