1998

Für zwei Bereiche der Universität fielen in diesem Jahr weitreichende Entscheidungen. Die drei künstlerischen Fachbereiche schlossen sich zu einem gemeinsamen Fachbereich zusammen und wählten einen Gründungsdekan sowie einen Gründungsfachbereichsrat, der die Teilautonomie als Kunsthochschule vorbereiten sollte. Dem neuen Status, mit dem sich mehr Eigenverantwortung in Entscheidungsfragen und Möglichkeiten zu eigener Profilbildung verbanden, stimmte der Konvent der Universität zu Beginn des kommenden Jahres zu. Die Agrarwissenschaften bekamen einen neuen Versuchshof. Auf der gepachteten Staatsdomäne Frankenhausen sollte ein ökologisch wirtschaftender, für fachbereichsübergreifende Projekte nutzbarer gläserner Lehrbetrieb entstehen. Die Zukunft des Fachbereichs war damit weiter abgesichert, die Vergangenheit wurde gefeiert: 100 Jahre Agrarausbildung in Witzenhausen. Nicht alle sahen Grund zum Feiern, der postcolonial turn bahnte sich an und begann, die Vergangenheit der 1898 gegründeten Deutschen Kolonialschule zu hinterfragen.

Eine andere Vergangenheit hingegen war noch gar nicht so weit weg und belastete die Universität ein zweites Mal. Bereits 1996 war bekannt geworden, dass der ehemalige Kasseler Wirtschaftsprofessor Ludwig Bress über 30 Jahre inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit war. Nun kam erneut der Verdacht auf, dass ein weiterer Hochschullehrer unter dem Decknamen IM Adler als Stasispitzel tätig war. Student:innen forderten nun die Überprüfung aller Universitätsbediensteter durch die „Gauck“-Behörde, das Stasi-Unterlagen-Archiv. Das verweigerte die Hochschulleitung. Der Verdächtigte stellte sich als Opfer der Stasi heraus, an der Hochschule endete ein weiterer Konflikt auf unbefriedigende Weise für alle Beteiligten, wie sie in einem Hörfunkbeitrag des SWR erzählen. Die Sekretariatsmitarbeiterinnen der Hochschule überprüften ihre Arbeit derweil selbst in einer Umfrage. Heraus kamen dabei beispielsweise einige Aufgaben, die Sekretärinnen für ihre Vorgesetzten außerhalb ihrer Tätigkeitsbeschreibung erledigten. Für die Professor:innen entwickelte die Hochschule 1998 erstmals einen „Kasseler Kodex“, wie ihn die Süddeutsche Zeitung nannte: Eine Orientierungshilfe zur Selbst- und Fremdüberprüfung der Professor:innen.