1996

Vision und Re-Vision. Unter diesem Motto feierte die Universität Kassel 1996 ihr 25-jähriges Bestehen. Die Leitbegriffe innovativ, international und interdisziplinär sollten ein neues Selbstbild als eigenständige europäische Universität vermitteln. Die Internationalisierungsbemühungen kamen langsam voran: Die erste englischsprachige Promotion wurde im Fachgebiet Elektrotechnik abgenommen und die Bauplanung für das über Spenden mitfinanzierte Gästehaus begann. Das Jubiläum wurde als Halbzeitbilanz genutzt. Festschrift und Festveranstaltungen warfen teils kritische Blicke auf die bisherige Entwicklung der Hochschule, analysierten ihren Istzustand im (inter-)nationalen Kontext und entwarfen herausfordernde Zukunftsaufgaben und -perspektiven. Die Bilanz fiel durchwachsen aus. Die Hochschule hatte in der Reform von Studium und Lehre vieles geleistet, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz sah eine zunehmende Bezugnahme auf die GhK in der Frage der Einführung gestufter Studiengänge in Deutschland. „Gründerväter“ wie der ehemalige Hochschulplaner im hessischen Kultusministerium und spätere Vertreter des Fachgebiets Empirische Bildungsforschung an der GhK Prof. Dr. Christoph Oehler mahnten, dass der kritisch angelegte Projekt- und Praxisbezug zur Berufsanpassung werde, der ehemalige hessische Kultusminister Prof. Dr. Ludwig von Friedeburg bescheinigte der Hochschule eine große Chance zu einer eigenständigen, starken Entwicklung.

Dazu galt es jedoch, Schwachstellen zu überwinden. Die Hochschulstrukturkommission stellte für die GhK ein ähnlich breites Fächerspektrum wie die vielfach größere Universität Frankfurt fest, was mangelnde Schwerpunktsetzungen und Tiefe in einigen Fächern zur Folge hatte. Die Forschungsleistung war zudem noch immer von dem verbreiteten Mangel an Mittelbaustellen beeinträchtigt. Es galt, das Profil und die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschule zu stärken. Hoffnungen auf einen nennenswerten Ausbau in den nächsten Jahren wie noch im Konzept „GhK 2002“ formuliert, gab es angesichts der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte nicht. Die Hochschule musste den Umbau aus eigener Kraft bewältigen. Statt „Zukunft durch Wachstum“ hieß es „Zukunft durch Konzentration“. Und das bedeutete: Fächer müssen weg. Das Ministerium hatte eine Schließung der Musik und der Agrarwissenschaft schon seit längerem erwogen. Nun standen unter anderem Chemie, die Theologien, Geographie, Berufspädagogik und Produkt Design als besonders teure Studiengänge zur Disposition. So war nicht allen zum Feiern zumute. Student:innen der Chemie machten jedoch klar „Wir lassen uns nicht wegätzen“. Der Witzenhäuser Standort suchte sein Heil in der Flucht nach vorn – mit Erfolg: Zukunft durch Konzentration auf ökologische Agrarwissenschaften. Mit der Fokussierung auf Nanostrukturwissenschaften konnte auch der Fortbestand der Chemie gesichert werden, für alle anderen ging die Diskussion weiter.

Grund zum Feiern hatten die Bediensteten der GhK. Mit einem großen Fest für ehemalige und gegenwärtige Mitarbeiter:innen würdigte die Hochschule alle, die einen Beitrag zur Entwicklung der Hochschule geleistet hatten. Dazu gehörten in diesem Jahr auch 55 Auszubildende. Alles andere als feierlich fand die Debatte um die Affenhaltung an der Universität Kassel ihr unrühmliches Ende.