1995
Die Universität funkte SOS, Fachgebiete riefen den Notstand aus. Der Hintergrund: Die hessische Landesregierung ordnete für alle Landeseinrichtungen einen Sparzwang und Stellensperren an. Alle freien oder frei werdenden Stellen sollten für mindestens sechs Monate unbesetzt bleiben, eine Hiobsbotschaft für eine Hochschule mit ständiger personeller Fluktuation und ohnehin schon 18.000 Student:innen auf planerisch knapp 9.000 Studienplätzen. Die in etwa gleichgroße TU Darmstadt hatte rund 1.000 Stellen mehr. Aufgrund dieser Überlast blieb die Kasseler Hochschule zwar von Stellenstreichungen verschont, musste aber 2,2 Millionen DM im laufenden Betrieb einsparen. Der neu eingeführte Globalhaushalt ermöglichte der Hochschulleitung zumindest, die staatlich verordneten Sparmaßnahmen autonom festzulegen. Im Herbst des Jahres sahen die Student:innen schon das nächste Unheil kommen: Die Hochschulrektorenkonferenz empfahl die Einführung von Studiengebühren in Höhe von 1.000 DM als Beitrag zur Verbesserung der Hochschulfinanzierung.
Der Notstand betraf auch das technisch-administrative Personal hart, „die Berge unerledigter Arbeit nehmen zu“, hieß es schon 1994 in den Mitteilungen des Personalrates. Eine Linderung der Folgen dieser Situation ließ sich zumindest mit einer 1995 abgeschlossenen Vereinbarung über betriebliche Gesundheitsvorsorge erhoffen. Von deren Maßnahmen, wie die Ernennung von betrieblichen Sozialhelfer:innen, konnten auch jene Mitarbeiterinnen Gebrauch machen, die in der Zeitschrift Fraueninfo in der Mitte der 1990er ihre unterschiedlichen Arbeitsplätze vorstellten. In Organisation und Betrieb der Hochschule brachte das Jahr einige Neuerungen. Erstmals legte die Universität einen eigenen Lehr- und Studienbericht vor. Mit der Dokumentation des Ist-Standes bewies die Hochschule ihre geleistete Reformarbeit und zeigte zugleich ihre Bereitschaft, Bereiche zu definieren, die evaluiert und weiterentwickelt werden sollten. Zusammen mit Studien des wissenschaftlichen Zentrums für Berufs- und Hochschulforschung über die Erfahrungen mit den integrierten Studiengängen war dieser Bericht eine Grundlage, um sich nun selbstbewusst in die Debatte um Veränderungen von Lehre und Studium in Deutschland einzumischen. Präsident Brinckmann konnte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein krisenfestes, von der regionalen Wirtschaft als marktgerecht anerkanntes Studienangebot präsentieren.
Die beiden anderen wissenschaftlichen Zentren der GhK setzten Veränderungen ihrer Forschungsaktivitäten in Gang. Das Zentrum für Psychoanalyse, Psychotherapie und psychosoziale Forschung arbeitete unter dem Label Kulturforschung weiter. Das WZ III Mensch – Umwelt – Technik fokussierte die Forschungsaktivitäten auf den Bereich Umweltsystemforschung, für den eine Professur Umweltsystemtechnik ausgeschrieben wurde. Schließlich begann 1995 eine umfassende Bibliotheksreform. Für die Fachbereiche Bauingenieurwesen und Maschinenbau brachte die Einweihung des großen Technikgebäudes an der Kurt-Wolters-Straße die lang ersehnte räumliche Veränderung. An der Spitze der Hochschule gab es keine Veränderung. Präsident Brinckmann wurde mit klarer Mehrheit für eine weitere Amtsperiode bestätigt.