1980

Deutschlandweit machte die Gesamthochschule Schlagzeilen, schaffte es sogar in die Tagesthemen. Der Grund dafür war allerdings wenig rühmlich. Doch zunächst der Reihe nach: Mit der Eingliederung ins Hessische Universitätsgesetz hatte die Gesamthochschule das Recht auf Selbstverwaltung erhalten, zunächst blieb der Gründungspräsident noch im Amt. Nach der Neuwahl aller Gremien sollte im Sommersemester 1980 die Hochschule ihren künftigen Präsidenten wählen. Drei Kandidaten stellten sich einem Hearing, zwei traten schließlich zur Wahl an: Amtsinhaber von Weizsäcker und Prof. Dr. Michael Daxner aus Osnabrück. Weizsäcker hatte beim Hearing die Kritik von Student:innen, Mittelbau und Bediensteten zu spüren bekommen, während die Ausführungen Daxners bei den Student:innen ankamen. Dem Kultusministerium passten Daxners Vorstellungen so gar nicht, es ließ vorsorglich einen Kriterienkatalog nach Kassel schicken, der festschrieb, welches Profil ein Kandidat haben müsste, um nach der Wahl vom Ministerium bestätigt zu werden. In Kassel war man empört und wertete das Vorgehen als beispiellosen Eingriff in die Autonomie der Hochschule. Man ließ sich nicht beeindrucken und wählte Daxner mit einer Mehrheit von 57 von 89 Stimmen im Konvent zum Präsidenten. Von Weizsäcker und die Konventsmehrheit forderten die zügige Bestätigung Daxners, die Sprecher der drei anderen Hochschullehrerfraktionen im Konvent wandten sich mit ihrer Bitte um Nicht-Bestätigung direkt an den Kultusminister. Der ließ sich Zeit, am 13. Oktober entschied er, Daxner nicht zu bestätigen. Erstmals in der bundesdeutschen Universitätsgeschichte verweigerte ein Kultusminister die Zustimmung zur Wahl eines Präsidenten durch die Mehrheit der selbstverwalteten Hochschulgremien. Die Polarisierung an der Hochschule ging weiter. Die Studierenden traten in einen einwöchigen Streik und veranstalteten Diskussionsforen zum weiteren hochschulpolitischen Vorgehen. „In einer stürmischen, immer wieder durch Beifall, Pfiffe und Buhrufe ganzer Zuschauertrauben unterbrochenen Sitzung“, wie die HNA berichtete, beschloss der Konvent die Einreichung einer Verpflichtungsklage. Erst nachdem Daxner freiwillig auf das Präsidentenamt verzichtete, war der Weg frei für eine Neuausschreibung. Zurück blieb eine intern zerrissene, in ihrer Autonomie und Autorität beschädigte Hochschule. Der Kanzler und nun kommissarische Präsident Hubert Sauer sah durch die hochgespielte Situation die in vielen Bereichen erfolgreiche sachliche Aufbauarbeit in den Hintergrund treten. Der im Dezember gewählte Vizepräsident Prof. Dr. Ulrich Teichler sah viel Arbeit vor der Hochschule, um das negative Image von außen zu verbessern und nicht die rote Laterne in der deutschen Hochschullandschaft aufgedrückt zu bekommen.

Die Beschäftigten sahen derweil ein weiteres Schreckensbild auf sich zukommen: Die Rationalisierung. Die Angst vor dem Abbau von Arbeitsplätzen war aus damaliger Perspektive nicht grundlos: Das Hochschulrechenzentrum wurde am künftigen Hauptstandort eingeweiht und in der Bibliothek wurde die EDV (Elektronische Datenverarbeitung) eingeführt. Während die Bibliothek zugleich das 400-jährige Jubiläum der Hessischen Landesbibliothek feierte, beteiligte sich die junge Mensa an der Weiterentwicklung des Reformprofils der Hochschule. Nach den positiven Erfahrungen mit einer „Reformkostwoche“ war künftig jeden Mittwoch „ovo-lacto-vegetabiler Tag“, das hieß, Ei, Soja, Milch und Gemüse in wilden Kombinationen standen auf dem Speiseplan.

Auf struktureller Ebene erfolgte in diesem Jahr die Gründung des ersten Instituts als „wissenschaftliche Betriebseinheit“ innerhalb des Fachbereichs Maschinenbau.